Soft Machine
Die Pioniere des Canterbury Sound
Die Geburt einer Legende
London, Mitte der 1960er Jahre. Die Luft vibriert vor kreativer Energie, eine kulturelle Revolution erfasst die Jugend und die Musikszene ist ein brodelnder Kessel aus neuen Klängen und Ideen. In diesem Epizentrum des Wandels, in den rauchgeschwängerten, psychedelisch erleuchteten Hallen des UFO Clubs, betritt eine Band die Bühne, die im Begriff ist, die Grenzen der Rockmusik für immer zu verschieben. Ihr Name, entlehnt aus der surrealistischen Prosa von William S. Burroughs, ist ein Versprechen: The Soft Machine. Es ist kein gewöhnlicher Auftritt. Die Musik pulsiert, dehnt sich aus, bricht aus den Fesseln der Drei-Minuten-Single aus. Lange, fließende Kompositionen, eine hypnotische Mischung aus verspieltem Pop, freigeistigem Jazz und halluzinogenem Rock, ziehen das Publikum in ihren Bann. Hier, im Herzen des Londoner Underground, an der Seite von Bands wie Pink Floyd, legen sie den Grundstein nicht nur für ihre eigene, beispiellose Karriere, sondern für ein ganzes Genre – die Canterbury Scene. Es ist der Beginn einer Reise, die von ständigen Metamorphosen, künstlerischen Konflikten und bahnbrechenden musikalischen Visionen geprägt sein wird, einer Reise, die den Sound des Progressive Rock und Jazz Fusion nachhaltig definieren sollte.
Formation und die Wurzeln der Canterbury Scene
Soft Machine wurde Mitte 1966 in Canterbury, Kent, gegründet, einer Stadt, die bald zum Synonym für einen ganzen musikalischen Mikrokosmos werden sollte. Die Gründungsmitglieder waren eine Ansammlung hochtalentierter und exzentrischer junger Musiker: Mike Ratledge an den Keyboards, Robert Wyatt am Schlagzeug und Gesang, Kevin Ayers am Bass und Gesang und der australische Beatnik-Poet Daevid Allen an der Gitarre. Ihre gemeinsamen Wurzeln lagen in einer früheren Band, den Wilde Flowers, einem musikalischen Schmelztiegel, aus dem auch die Schwesterband Caravan hervorgehen sollte. Diese enge personelle Verflechtung war charakteristisch für die Canterbury Scene. Es war weniger ein Ort als vielmehr ein Netzwerk von Freunden und Gleichgesinnten, die eine gemeinsame Vision teilten: die Verschmelzung von anspruchsvollem Jazz, komplexen Rockstrukturen, psychedelischer Experimentierfreude und einem Hauch von absurdem Humor. Soft Machine stand von Anfang an im Zentrum dieser Bewegung, ihr Name war ein direktes Zitat aus dem Roman von William S. Burroughs und ein Hinweis auf die avantgardistischen und literarischen Einflüsse, die ihre Musik durchdrangen.
Der frühe Sound der Band war tief im Psychedelic Rock verwurzelt, aber schon damals durchzogen von einer unverkennbaren Eigenwilligkeit. Ihre Texte waren oft skurril und poetisch, die musikalischen Arrangements komplexer und unvorhersehbarer als bei den meisten ihrer Zeitgenossen. Im Februar 1967 veröffentlichten sie ihre erste Single, „Love Makes Sweet Music“, die ihnen erste Aufmerksamkeit verschaffte. Doch ihr wahres Zuhause war die Live-Bühne. Als eine der Hausbands im legendären UFO Club, wo sie regelmäßig mit den frühen Pink Floyd auftraten, wurden sie zu einem zentralen Pfeiler der britischen Underground-Szene. Ihre Konzerte waren immersive Erlebnisse, oft begleitet von Lichtshows und avantgardistischen Filmen, und ihre Musik war der Soundtrack zu einer kulturellen Zeitenwende.
Erste Erfolge und die Jimi Hendrix Ära
Ihr selbstbetiteltes Debütalbum, *The Soft Machine*, wurde 1968 veröffentlicht und gilt als Meilenstein. Es fängt die Essenz ihres frühen Sounds perfekt ein – eine einzigartige und kühne Verbindung von Psychedelic Rock und jazzigen Harmonien, die von der Kritik hochgelobt wurde. In dieser Zeit erhielten sie eine Chance, die ihre Karriere nachhaltig prägen sollte: Sie wurden eingeladen, die Jimi Hendrix Experience auf zwei ausgedehnten Tourneen durch Nordamerika zu begleiten. Diese Erfahrung katapultierte sie auf die internationale Bühne und konfrontierte sie mit einem riesigen Publikum. Die Aufnahme ihres Debütalbums fand passenderweise in New York statt, am Ende des ersten Tourabschnitts, und die Energie und der Druck dieser Zeit sind in den Aufnahmen spürbar.
Die Reaktionen auf ihre Musik waren jedoch gespalten. Während sie im aufgeschlossenen Londoner Underground gefeiert wurden, stießen sie im Mainstream oft auf Unverständnis. Robert Wyatt erinnerte sich später an die oft negativen Reaktionen, wenn sie außerhalb ihrer gewohnten Umgebung spielten. Als kreative Antwort darauf begann die Band, ihre Stücke live zu langen, ununterbrochenen Suiten zu verbinden. Dies nahm dem Publikum die Möglichkeit, zwischen den Songs zu buhen, und zwang es, sich auf die musikalische Reise einzulassen. Diese bewusste Entscheidung, die künstlerische Vision über die kommerzielle Anbiederung zu stellen, war ein prägendes Merkmal, das ihren Weg in Richtung komplexerer Jazz-Fusion-Strukturen vorwegnahm und ihren Ruf als kompromisslose und einflussreiche Underground-Band zementierte, auch wenn dies bedeutete, auf den großen kommerziellen Durchbruch zu verzichten.
Die sich wandelnde Klanglandschaft
Die Geschichte von Soft Machine ist eine Geschichte der ständigen Neuerfindung. Kaum eine andere Band ihrer Zeit durchlief so radikale und konsequente stilistische Metamorphosen. Was als psychedelische Pop-Gruppe begann, entwickelte sich zu einer der führenden Kräfte im Jazz Fusion und zu einer rein instrumentalen Einheit, die die Grenzen musikalischer Komplexität auslotete. Diese Entwicklung war untrennbar mit den personellen Veränderungen innerhalb der Band verbunden, wobei jeder Besetzungswechsel eine neue klangliche Ära einläutete.
Übergang zum Jazz Fusion: Volume Two, Third und Fourth (1969–1972)
Der erste entscheidende Wandel erfolgte nach dem Ausstieg von Kevin Ayers Ende 1968. Sein Nachfolger wurde Hugh Hopper, ein langjähriger Freund der Band und ehemaliger Roadie. Hoppers Ankunft am Bass war mehr als nur ein Personalwechsel; es war ein Katalysator, der die Band unaufhaltsam in Richtung Jazz Fusion trieb. Hopper war ein technisch versierterer und experimentierfreudigerer Bassist, dessen komplexe, oft verzerrte Basslinien zum neuen Fundament des Soft Machine-Sounds wurden. Das Album *Volume Two* (1969) dokumentiert diesen Übergang eindrucksvoll. Es verbindet die verbliebenen psychedelischen und songorientierten Elemente mit immer komplizierteren Taktarten, jazzigen Harmonien und einer wachsenden Vorliebe für Improvisation.
Der nächste logische Schritt war die Erweiterung der Besetzung um ein Blasinstrument. Mit dem Saxophonisten Elton Dean, der 1969 zur Band stieß, wurde der Jazz-Einfluss endgültig dominant. Das Resultat war das monumentale Doppelalbum *Third* (1970), das oft als das Meisterwerk der Band und als eines der wichtigsten Alben des Progressive Rock und Jazz Fusion überhaupt angesehen wird. Jede der vier LP-Seiten wird von einer langen Komposition eingenommen, die eine atemberaubende Bandbreite an Stilen abdeckt. Von Robert Wyatts melancholisch-verträumter Vokal-Suite „Moon in June“ bis hin zu Hugh Hoppers brachialer Komposition „Facelift“ und Mike Ratledges von Terry Riley beeinflusstem Minimalismus in „Out-Bloody-Rageous“ – *Third* ist ein Schmelztiegel der Ideen, der Free-Jazz-Ausbrüche, psychedelische Klanglandschaften und komplexe Rock-Rhythmen zu einem faszinierenden Ganzen vereint. Das Album wurde von der Kritik gefeiert und gilt als perfekter Einstieg in die zweite, reifere Phase der Band.
Mit *Fourth* (1971) vollzog die Band den endgültigen Schritt zur reinen Instrumentalmusik. Das Album ist noch stärker jazzorientiert, kühler und kontrollierter als sein Vorgänger. Die Kompositionen sind straffer, die Improvisationen fokussierter. Es war der logische Endpunkt einer Entwicklung, die mit Hugh Hoppers Eintritt begonnen hatte, aber auch ein Punkt, an dem die internen Spannungen unüberbrückbar wurden.
Die instrumentale Ära: Nach Wyatts Abschied (Fifth, Six, Seven)
Im August 1971 kam es zum Bruch. Robert Wyatt, dessen Gesang und exzentrisches Schlagzeugspiel den frühen Sound so maßgeblich geprägt hatten, verließ die Band – oder wurde, je nach Lesart, aufgrund unüberbrückbarer musikalischer Differenzen entlassen. Wyatt fühlte sich in der zunehmend ernsten, virtuosen und humorlosen Jazz-Fusion-Welt, die von Ratledge und Hopper vorangetrieben wurde, zunehmend unwohl. Sein Weggang war ein Schock und ein Wendepunkt. Soft Machine war von nun an eine rein instrumentale Angelegenheit. Wyatt gründete daraufhin die Band Matching Mole, ein ironisches Wortspiel mit der französischen Übersetzung von Soft Machine („machine molle“).
Die Suche nach einem neuen Schlagzeuger erwies sich als schwierig. Phil Howard ersetzte Wyatt nur für kurze Zeit, wurde aber nach musikalischen Meinungsverschiedenheiten während der Aufnahmen zu *Fifth* (1972) wieder entlassen. Der ehemalige Nucleus-Schlagzeuger John Marshall vollendete das Album und wurde zum festen Mitglied. Mit Marshall und kurz darauf Karl Jenkins (ebenfalls von Nucleus) an den Keyboards und Blasinstrumenten begann eine neue Ära. Jenkins übernahm allmählich die kreative Führung von Mike Ratledge, der sich zunehmend zurückzog. Jenkins‘ Kompositionen dominierten die Alben *Fifth*, *Six* (1973) und *Seven* (1973). Der Sound wurde polierter, technischer und orientierte sich stärker am etablierten Jazz-Fusion-Klang von Bands wie Weather Report oder Mahavishnu Orchestra. Für das Album *Six*, das eine Live- und eine Studioseite kombinierte, erhielt die Band 1973 den renommierten „Melody Maker British Jazz Album of the Year“-Award, ein Beweis für ihre Anerkennung in der Jazz-Welt.
Spätere Innovationen: Die Gitarren-Jahre mit Holdsworth und Etheridge (Bundles, Softs)
Eine weitere Frischzellenkur erfuhr die Band durch die Aufnahme des Gitarristen Allan Holdsworth für das Album *Bundles* (1975). Holdsworth, ein Gitarrenvirtuose mit einer revolutionären Legato-Technik, brachte eine neue, rockigere und härtere Kante in den Sound der Band. Seine fließenden, blitzschnellen Soli über den komplexen rhythmischen und harmonischen Strukturen von Jenkins, Ratledge und Marshall belebten die Musik ungemein und machten *Bundles* zu einem der zugänglichsten und gleichzeitig beeindruckendsten Alben der späten Phase. Nach Holdsworths Weggang trat 1975 ein weiterer außergewöhnlicher Gitarrist in seine Fußstapfen: John Etheridge. Er prägte mit seinem eigenen, vielseitigen Stil das Album *Softs* (1976). Auf diesem Album verabschiedete sich mit Mike Ratledge das letzte verbliebene Gründungsmitglied aus der Band und überließ Karl Jenkins endgültig die alleinige Führung.
Moderne Inkarnationen: Von Ablegern bis heute (Hidden Details, Other Doors)
Nach einer offiziellen Auflösung im Jahr 1984 schien die Geschichte von Soft Machine zunächst beendet. Doch der Geist der Band lebte in zahlreichen Projekten und Ablegern weiter, oft mit wechselnden Besetzungen ehemaliger Mitglieder. Namen wie Soft Heap, Soft Head, Soft Ware, Soft Works und schließlich Soft Machine Legacy hielten die Musik und den improvisatorischen Geist am Leben. Im Jahr 2015 entschied sich die Besetzung von Soft Machine Legacy, bestehend aus John Etheridge, Theo Travis (Saxophon, Flöte), Roy Babbington (Bass) und John Marshall, dazu, wieder unter dem ursprünglichen Namen „Soft Machine“ aufzutreten. Diese moderne Inkarnation der Band erwies sich als erstaunlich vital. 2018 veröffentlichten sie *Hidden Details*, das erste offizielle Soft Machine-Studioalbum seit über 40 Jahren, das von Kritikern für seinen frischen Sound gelobt wurde, der gekonnt Anklänge an verschiedene frühere Phasen der Bandgeschichte aufgriff. Mit dem Album *Other Doors* (2023) schloss sich ein weiteres Kapitel, als der langjährige Schlagzeuger John Marshall seinen Rücktritt bekannt gab. Die aktuelle Besetzung mit John Etheridge, Theo Travis, Fred Baker am Bass und Asaf Sirkis am Schlagzeug beweist, dass die „weiche Maschine“ auch nach fast sechs Jahrzehnten noch immer in Bewegung ist – ein lebendiges Vermächtnis, das sich weigert, stillzustehen.
Die Architekten des Klangs
Die Geschichte von Soft Machine ist untrennbar mit den Persönlichkeiten verbunden, die sie prägten. Die Band war weniger eine feste Einheit als vielmehr ein fließendes Kollektiv, ein musikalisches Projekt, das durch die Hände von rund 30 verschiedenen Mitgliedern ging. Diese „Drehtür-Mentalität“, die oft aus künstlerischen Konflikten resultierte, war paradoxerweise die größte Stärke der Band. Sie ermöglichte eine ständige Evolution und verhinderte kreativen Stillstand. Jeder Musiker brachte seine eigene Stimme, seine eigene Geschichte und seine eigenen Einflüsse mit, die den Sound von Soft Machine kontinuierlich neu formten. Hier sind die Profile der einflussreichsten Architekten, die diese einzigartige Klangwelt erschaffen haben.
Robert Wyatt (1966–1971)
Als Gründungsmitglied war Robert Wyatt die Seele der frühen Soft Machine. Sein hoher, melancholischer Gesang und sein unkonventionelles, jazz-inspiriertes Schlagzeugspiel verliehen der Band ihre einzigartige Identität. Er war der Hauptverantwortliche für die psychedelische Verspieltheit und den surrealen Charme der ersten Alben. Sein Ausscheiden 1971 markierte den wohl radikalsten Wendepunkt in der Bandgeschichte und den endgültigen Übergang zur reinen Instrumentalmusik. Nach seinem Weggang gründete er die kurzlebige, aber gefeierte Band Matching Mole. Ein tragischer Unfall im Jahr 1973, bei dem er vom vierten Stock eines Gebäudes fiel, fesselte ihn an den Rollstuhl und beendete seine Karriere als Schlagzeuger. Doch aus dieser persönlichen Katastrophe erwuchs eine der bemerkenswertesten Solokarrieren der britischen Musikgeschichte. Wyatt konzentrierte sich auf Gesang und Keyboards und schuf zutiefst persönliche, politisch engagierte und künstlerisch kompromisslose Alben. Er wurde 1945 in Bristol geboren und war mit der Malerin und Songwriterin Alfreda Benge verheiratet, die viele seiner Albumcover gestaltete. 2014 zog er sich offiziell aus dem Musikgeschäft zurück.
Mike Ratledge (1966–1976)
Mike Ratledge war das einzige Mitglied, das von der Gründung bis 1976 ununterbrochen dabei war, und somit der Fels in der Brandung der ständigen Besetzungswechsel. Sein Sound, geprägt von der Lowrey-Orgel und später dem Fender Rhodes Piano, war das klangliche Rückgrat der Band über ein ganzes Jahrzehnt. Ratledge, der in Oxford Psychologie und Philosophie studiert hatte, war die treibende intellektuelle Kraft hinter dem Wandel der Band hin zu komplexeren, jazz-orientierten Strukturen. Seine Kompositionen, wie das epische „Out-Bloody-Rageous“, zeugen von seinem Interesse an Minimal Music und Avantgarde. Nach seinem Ausstieg aus Soft Machine zog er sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück, komponierte Musik für Film und Theater und arbeitete als Produzent, unter anderem für Karl Jenkins‘ erfolgreiches Adiemus-Projekt. Ratledge, geboren 1943 in Maidstone, war kurzzeitig mit der amerikanischen Soul-Sängerin Marsha Hunt verheiratet.
Kevin Ayers (1966–1968)
Kevin Ayers war der charismatische Bonvivant und poetische Songwriter der Gründungsbesetzung. Sein sonorer Bariton-Gesang und seine melodischen, oft unkonventionellen Basslinien prägten das Debütalbum maßgeblich. Songs wie „Why Am I So Short?“ zeugen von seinem trockenen, absurden Humor. Er verließ die Band bereits 1968 nach einer anstrengenden US-Tournee, um eine lange und vielseitige Solokarriere zu starten, die ihn zu einer Kultfigur der europäischen Musikszene machte. Er gründete seine eigene Band, The Whole World, in der unter anderem ein junger Mike Oldfield spielte. Ayers, geboren 1944 in Kent, verbrachte einen Teil seiner Kindheit in Malaya, was seine weltoffene und entspannte Haltung prägte. Er verstarb 2013 in seinem Haus in Südfrankreich und hinterließ ein Werk, das für seine Wärme, seinen Witz und seine unprätentiöse Genialität geliebt wird.
Hugh Hopper (1968–1973)
Hugh Hopper, der Ayers ersetzte, war der Architekt des Übergangs zum Jazz Fusion. Sein innovativer Einsatz von Effektgeräten, insbesondere des Fuzz-Pedals, verwandelte den E-Bass in ein melodisches und texturgebendes Lead-Instrument. Seine Kompositionen waren oft düsterer, komplexer und rhythmisch vertrackter als die seiner Vorgänger. Hopper war bereits vor seinem Einstieg als Musiker eng mit der Band verbunden, agierte als ihr Roadmanager und schrieb sogar einige Stücke für sie. Nach seinem Ausstieg 1973 blieb er eine unermüdliche Kraft in der experimentellen Musikszene und war an unzähligen Projekten und Kollaborationen beteiligt, darunter Isotope, Stomu Yamash’ta’s East Wind und natürlich die verschiedenen Soft-Machine-Nachfolgeprojekte wie Soft Heap und Soft Machine Legacy. Geboren 1945 in Canterbury, war er ein Jugendfreund von Wyatt und Ratledge. Er verstarb 2009 nach einem langen Kampf gegen Leukämie.
Elton Dean (1969–1972)
Mit dem Saxophonisten Elton Dean stieß ein Musiker zur Band, der tief in der britischen Free-Jazz-Szene verwurzelt war. Sein kraftvolles, oft atonales Spiel auf dem Altsaxophon und dem Saxello (einer seltenen Variante des Sopransaxophons) trieb die Band in ihre radikalste und improvisatorischste Phase. Er war ein Schlüsselmitglied der Besetzung, die die Alben *Third*, *Fourth* und *Fifth* aufnahm. Vor seiner Zeit bei Soft Machine spielte er in der Band Bluesology, aus der später Elton John hervorging – Reginald Dwight kombinierte die Vornamen von Dean und dem Sänger Long John Baldry zu seinem Künstlernamen. Nach seinem Weggang von Soft Machine 1972 leitete Dean seine eigenen hochanerkannten Jazz-Ensembles, wie Ninesense, und blieb bis zu seinem Tod eine feste Größe im europäischen Free Jazz. Er verstarb 2006 an den Folgen von Herz- und Leberproblemen.
Karl Jenkins (1972–1984)
Karl Jenkins kam 1972 von der ebenfalls einflussreichen Jazz-Rock-Band Nucleus zu Soft Machine und wurde schnell zur dominanten kompositorischen Kraft. Der Multi-Instrumentalist (Oboe, Saxophon, Keyboards) und klassisch ausgebildete Komponist führte die Band zu einem polierteren, symphonischeren und zugänglicheren Jazz-Fusion-Sound. Er war der Hauptverantwortliche für die Alben von *Six* bis *Land of Cockayne* (1981) und führte die Band nach Ratledges Ausstieg an. Nach dem Ende von Soft Machine startete Jenkins eine phänomenal erfolgreiche zweite Karriere. Er wurde zu einem der weltweit meistaufgeführten lebenden Komponisten, vor allem durch sein Crossover-Projekt Adiemus und Chorwerke wie „The Armed Man: A Mass for Peace“. Jenkins, 1944 in Wales geboren, wurde für seine Verdienste um die Musik zum Ritter geschlagen.
John Marshall (1972–2022)
Wie Karl Jenkins kam auch John Marshall von Nucleus und ersetzte den kurzzeitigen Wyatt-Nachfolger Phil Howard. Marshalls kraftvolles, präzises und dennoch unglaublich flüssiges Schlagzeugspiel wurde zum Motor der Band für fast ihre gesamte spätere Geschichte. Er war von *Fifth* (1972) an dabei und blieb eine Konstante durch alle Wiedervereinigungen und die moderne Inkarnation als Soft Machine Legacy und schließlich wieder Soft Machine, bis er sich 2022 aus gesundheitlichen Gründen zurückzog. Seine technische Brillanz und musikalische Sensibilität machten ihn zu einem der angesehensten Schlagzeuger Großbritanniens. Geboren 1941, studierte er Psychologie, bevor er sich ganz der Musik widmete. John Marshall verstarb am 16. September 2023 und hinterließ ein gewaltiges rhythmisches Erbe.
Allan Holdsworth (1973–1975)
Obwohl er nur für das Album *Bundles* und die anschließende Tour dabei war, hinterließ der Gitarrist Allan Holdsworth einen unauslöschlichen Eindruck. Er gilt als einer der innovativsten und einflussreichsten Gitarristen aller Zeiten, und sein Einstieg bei Soft Machine brachte eine völlig neue klangliche Dimension. Sein hornartiger, fließender Legato-Stil und seine komplexen harmonischen Konzepte waren revolutionär. Er veränderte den Sound der Band, machte ihn rockiger und energiereicher und zog eine neue Generation von Fans an. Nach seiner kurzen Zeit bei Soft Machine spielte er mit anderen Größen des Progressive Rock und Jazz Fusion (wie Jean-Luc Ponty, Bill Bruford und U.K.) und verfolgte eine gefeierte Solokarriere. Geboren 1946 in Bradford, war Holdsworth ein früher Pionier des SynthAxe, eines seltenen Gitarren-Synthesizers. Er verstarb 2017 und wird von Gitarristen weltweit als musikalisches Genie verehrt.
Auf der Bühne und darüber hinaus
Für Soft Machine war die Bühne nie nur ein Ort, um Studioalben zu reproduzieren. Sie war ein Labor, ein Spielplatz und ein Schlachtfeld. Live-Auftritte waren der eigentliche Kern ihrer künstlerischen Existenz, ein dynamischer Raum, in dem Kompositionen gedehnt, dekonstruiert und in oft radikal neuen Formen wiedergeboren wurden. Ihre Konzerte waren bekannt für ihre Intensität, ihre Improvisationsfreude und ihre Bereitschaft, Risiken einzugehen. Gleichzeitig waren die Mitglieder der Band keine isolierten Genies, sondern tief in einem dichten Netzwerk von Musikern verwurzelt, was zu unzähligen Kollaborationen und Nebenprojekten führte, die ihren Einfluss weit über die Grenzen der eigenen Band hinaus verbreiteten.
Frühe Live-Präsenz: UFO Club und die Jimi Hendrix Tourneen
Die Live-Karriere von Soft Machine begann in den Epizentren des „Swinging London“. Als Hausband des legendären UFO Clubs teilten sie sich Ende 1966 und Anfang 1967 regelmäßig die Bühne mit den frühen Pink Floyd und wurden zu einem Soundtrack der psychedelischen Revolution. Ihre Auftritte waren multimediale Happenings mit Lichtprojektionen und Tanz, die das Publikum in eine andere Welt entführten. Die Notwendigkeit, sich in dieser lauten und oft chaotischen Umgebung Gehör zu verschaffen, führte zur Entwicklung ihrer charakteristischen langen, fließenden Stücke, die das Publikum fesselten und eine tiefere Konzentration erforderten. Die beiden Tourneen als Vorgruppe für die Jimi Hendrix Experience im Jahr 1968 waren eine Feuerprobe. Sie spielten in riesigen Arenen vor einem Publikum, das oft wenig Geduld für ihre experimentelle Musik hatte. Diese Erfahrung stählte sie und brachte ihnen gleichzeitig internationale Anerkennung ein. Frühe Auftritte auf dem europäischen Festland, insbesondere in Frankreich und den Niederlanden, etablierten sie schnell als eine der führenden und kompromisslosesten Bands des Kontinents.
Wegweisende Auftritte: Die Proms und Ronnie Scott’s
Ein Meilenstein in ihrer Karriere und ein Symbol für die wachsende Akzeptanz des Progressive Rock im kulturellen Establishment war ihr Auftritt bei den prestigeträchtigen BBC Proms in der Londoner Royal Albert Hall im August 1970. Soft Machine war die erste „Rockband“, der diese Ehre zuteilwurde. Vor dem ehrwürdigen Klassikpublikum präsentierten sie Material von ihrem kurz zuvor veröffentlichten Meisterwerk *Third*. Das Konzert wurde live im Radio übertragen und später als Album veröffentlicht, was ihren Status als Pioniere zementierte. Ebenso bedeutsam waren ihre wiederholten, oft wochenlangen Engagements im weltberühmten Londoner Jazzclub Ronnie Scott’s. Hier, vor einem fachkundigen Jazzpublikum, konnten sie ihre improvisatorischen Fähigkeiten voll ausspielen und bewiesen, dass sie die Grenzen zwischen Rock und Jazz endgültig niedergerissen hatten. Passenderweise fand das allerletzte Konzert der „klassischen“ Ära von Soft Machine 1984 ebenfalls bei Ronnie Scott’s statt.
Kollaborationen und das Canterbury-Netzwerk
Die Mitglieder von Soft Machine waren keine musikalischen Einsiedler. Sie waren zentrale Knotenpunkte in der eng verwobenen Canterbury Scene und der breiteren britischen Jazz- und Rockszene. Die Liste ihrer Kollaborationen ist schier endlos und liest sich wie ein Who’s Who der Avantgarde-Musik dieser Zeit. Robert Wyatt spielte auf den Soloalben seines Freundes Kevin Ayers und war Teil von Keith Tippetts monumentalem 50-köpfigem Orchester Centipede. Hugh Hopper und Elton Dean gründeten gemeinsam die Band Soft Heap. Hugh Hopper arbeitete zudem mit der Pianistin Carla Bley und dem japanischen Perkussionisten Stomu Yamash’ta. Karl Jenkins und Mike Ratledge nahmen an einer Live-Aufführung von Mike Oldfields *Tubular Bells* teil. John Etheridge entwickelte eine langjährige und fruchtbare musikalische Partnerschaft mit der französischen Geigenlegende Stéphane Grappelli. Theo Travis, das spätere Mitglied, arbeitete mit Größen wie Robert Fripp, Steven Wilson und David Gilmour zusammen. Eine besondere Fußnote ist die Tatsache, dass Mitglieder von Soft Machine als ungenannte Begleitmusiker auf dem ersten Soloalbum des ehemaligen Pink-Floyd-Sängers Syd Barrett, *The Madcap Laughs*, spielten. Diese ständige „Kreuzbestäubung“ von Talenten und Ideen war entscheidend für die Vitalität der Szene. Ein Ausstieg bei Soft Machine bedeutete selten ein Ende der Zusammenarbeit; es war oft nur der Beginn eines neuen Kapitels innerhalb desselben kreativen Universums.
Die vollständigen Werke: Diskografie
Die Diskografie von Soft Machine ist so umfangreich und komplex wie ihre Geschichte. Sie umfasst nicht nur die offiziellen Studioalben, die ihre musikalische Entwicklung dokumentieren, sondern auch eine Fülle von Live-Aufnahmen und Archivveröffentlichungen, die oft erst Jahrzehnte später das Licht der Welt erblickten. Diese Tabellen bieten einen strukturierten Überblick über das reiche Schaffen der Band.
Studioalben
Jahr | Titel | Anmerkungen |
---|---|---|
1968 | The Soft Machine | Das psychedelische Debüt mit Ratledge, Wyatt und Ayers. |
1969 | Volume Two | Hugh Hopper ersetzt Ayers; der Sound wird jazziger. |
1970 | Third | Monumentales Doppelalbum und Meisterwerk des Jazz Fusion. |
1971 | Fourth | Das erste rein instrumentale Album der Band. |
1972 | Fifth | Nach Wyatts Ausstieg; John Marshall am Schlagzeug. |
1973 | Six | Kombination aus Live- und Studioaufnahmen; Karl Jenkins‘ Einfluss wächst. |
1973 | Seven | Konsolidierung des polierten Jazz-Fusion-Sounds. |
1975 | Bundles | Mit Gitarrenvirtuose Allan Holdsworth; rockorientierter Sound. |
1976 | Softs | John Etheridge ersetzt Holdsworth; letztes Album mit Mike Ratledge. |
1981 | Land of Cockayne | Letztes Studioalbum der „klassischen“ Ära mit Jenkins und Marshall. |
2018 | Hidden Details | Das Comeback-Album der modernen Inkarnation der Band. |
2023 | Other Doors | Abschiedsalbum für den langjährigen Schlagzeuger John Marshall. |
Wichtige Live- und Archiv-Alben
Jahr der Veröff. | Titel | Anmerkungen |
---|---|---|
1977 | Triple Echo | Frühe, wichtige Kompilation mit seltenem Material. |
1978 | Alive & Well: Recorded in Paris | Zeitgenössisches Live-Album der Etheridge-Ära. |
1988 | Live at the Proms 1970 | Aufnahme des historischen Auftritts in der Royal Albert Hall. |
1990 | The Peel Sessions | Sammelt die legendären Aufnahmen für John Peels BBC-Radioshow. |
1998 | Virtually | Hervorragende Live-Aufnahme von 1971 aus Bremen. |
2002 | Facelift | Legendäres Konzert von 1970, das die rohe Energie der *Third*-Besetzung zeigt. |
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