


Emigrate: Die musikalische Flucht des Richard Z. Kruspe
Emigrate ist weit mehr als ein Nebenprojekt; es ist das zweite große musikalische Universum, das der Rammstein-Gitarrist Richard Zven Kruspe erschaffen hat. Es repräsentiert eine tief sitzende kreative Notwendigkeit – den Wunsch nach künstlerischer Dominanz, Freiheit und der Erkundung des Gesangs, ein Gegengewicht zu der kollektiven Dynamik von Rammstein. Diese Biografie zeichnet den Weg Kruspes von seinen Wurzeln in der DDR bis zur Realisierung seiner Vision einer multinationalen, kompromisslosen Rockband nach.
Kindheit, Aufwachsen in der DDR und die Ursprünge der Rebellion
Richard Zven Kruspe, geboren am 24. Juni 1967 in Wittenberge in der Deutschen Demokratischen Republik, erlebte eine Kindheit, die von Brüchen und einem tiefen Gefühl der Entfremdung geprägt war. Er wuchs mit zwei älteren Schwestern und einem älteren Bruder auf. Seine Eltern trennten sich früh, und die Beziehung zu seinem Stiefvater gestaltete sich als extrem schwierig und konfliktgeladen. Diese frühen familiären Spannungen führten dazu, dass der junge Richard, den Freunde später auch „Scholle“ nannten, oft von Zuhause weglief, um auf Parkbänken oder bei Freunden Zuflucht zu suchen. Dieses wiederholte Verschwinden machte ihn mehrmals zum Gegenstand polizeilicher Suchaktionen und verankerte in ihm eine tiefe Abneigung gegen Autorität und eine Sehnsucht nach Freiheit, die später die zentrale thematische Achse seiner Musikprojekte bilden sollte.
In dieser Zeit der Jugend, die von innerer Zerrissenheit geprägt war, suchte Kruspe Ventile für seine aufgestauten Emotionen. Bevor die Musik seine Bestimmung fand, war er im Ring erfolgreich. Er war ein lokal erfolgreicher Ringer bei der BSG Lok Wittenberge. Diese Sportart, die körperliche Disziplin und einen direkten Kampf um Dominanz erforderte, mag einen frühen Ausdruck seines späteren Perfektionismus und seiner zielstrebigen Haltung im künstlerischen Bereich dargestellt haben. Seine formelle Ausbildung führte ihn zunächst in einen ganz anderen Bereich: Er absolvierte eine Lehre als Koch. Doch der Wendepunkt kam, als er in Hagenow die Chance auf eine Lehrstelle ergriff. Abseits des städtischen Lebens nutzte er die Abgeschiedenheit, um sich zweieinhalb Jahre lang intensiv dem Gitarrenspiel zu widmen. Die Musik wurde zu seiner primären Ausdrucksform und ersetzte allmählich das Bedürfnis nach dem direkten, physischen Kampf durch einen kreativen, klanglichen.
In den Jahren vor der Wende und kurz danach sammelte Kruspe erste musikalische Erfahrungen in einer Vielzahl von Bands, die die dynamische und oft chaotische Szene Ost-Berlins prägten. Zu diesen frühen Formationen gehörten Projekte mit so illustren Namen wie Das elegante Chaos, Das Auge Gottes, Die Firma und Orgasm Death Gimmick, wo er als Gitarrist spielte. Diese Zeit des ständigen Experimentierens und des Austauschs mit anderen Musikern war eine wichtige Schule, die seine Fähigkeiten als Songwriter und Gitarrist schärfte, auch wenn sie ihm noch nicht die vollständige kreative Kontrolle oder die definitive musikalische Heimat bot. Die Erfahrung, Musik in der relativen Isolation der DDR zu machen, in der Ressourcen und westliche Einflüsse begrenzt waren, förderte einen erfinderischen und unkonventionellen Ansatz, der später sowohl Rammstein als auch Emigrate charakterisieren sollte.
Die Rammstein-Ära und die Geburt einer Nebenexistenz
Der entscheidende Meilenstein in Kruspes Karriere war die Gründung von Rammstein. Als Hauptinitiator der Band im Jahr 1994, oft nach einem erfolgreichen Wettbewerb des Berliner Senats, legte er den Grundstein für eine der international erfolgreichsten deutschen Bands aller Zeiten. Doch schon während des Aufstiegs von Rammstein, der von einer intensiven, kollektiven Arbeitsweise geprägt war, manifestierte sich in Richard Kruspe der Wunsch nach einem eigenen kreativen Ventil. Er selbst beschrieb Rammstein zeitweise nur als ein Projekt und musste sich der internen, oft angespannten Konkurrenz stellen, insbesondere während der Aufnahmen zum dritten Rammstein-Album *Mutter* (2001).
Diese Phase der Bandgeschichte, in der kreative Spannungen hochkochten und Kruspe das Gefühl hatte, seine eigenen Ideen zügeln zu müssen, wurde zum eigentlichen Keim der Emigrate-Vision. Kruspe erkannte, dass das Überleben von Rammstein davon abhing, dass er einen Weg fand, seine ungenutzte Kreativität und seinen Drang nach Dominanz zu kanalisieren. Er sah in der Gründung eines Soloprojekts die notwendige „Flucht“, um Rammstein Raum zum Atmen zu geben und gleichzeitig seine eigene künstlerische Integrität zu wahren. Die Idee zu Emigrate entstand also nicht aus Langeweile, sondern aus einer tiefen psychologischen und künstlerischen Notwendigkeit, ein Gleichgewicht zwischen dem Kollektiv und dem Individuum zu schaffen.
Der entscheidende, biografische Einschnitt, der das Projekt Emigrate physisch und emotional auslöste, war Kruspes Umzug nach New York City. Nach seiner Scheidung im Jahr 2004 entschied er sich, die USA zu seiner neuen Heimat zu machen und dort elf Jahre zu leben. Dieser Ortswechsel war der ultimative Ausdruck seiner lebenslangen Neigung zur Emigration – sowohl physisch als auch mental. Er wollte sich von seiner Vergangenheit und den Zwängen des Rammstein-Kollektivs lösen. Es war in dieser Zeit der Neuorientierung in New York, dass er auf ein Stück Papier stieß, auf dem das Wort „Emigrate“ stand. Für ihn war dies ein Zeichen, das perfekt seine Situation beschrieb: das Ausbrechen aus dem Kreislauf des Lebens und der Neubeginn. Der Name Emigrate symbolisiert für ihn die Freiheit, sich von allem zu lösen, was einen festhält.
Die Emigrate-Vision: Kreative Herrschaft und die Rolle des Sängers
Emigrate wurde konzeptionell als das Gegenteil von Rammstein angelegt. Während Rammstein ein demokratisches Kollektiv ist, in dem alle Mitglieder gleichberechtigt sind und Till Lindemann die Rolle des Sängers ausfüllt, sollte Emigrate Kruspes uneingeschränktes Reich sein. Hier konnte er seine Rolle als Frontmann und Hauptsongwriter voll ausleben und seinen perfektionistischen Ansatz von A bis Z kontrollieren. Die Entscheidung, selbst den Gesang zu übernehmen, war ein mutiger Schritt und ein zentrales Element dieser neuen Identität. Obwohl Kruspe zugab, nicht der technisch beste Sänger zu sein, ermöglichte ihm der Gesang, eine tiefere, persönlichere Verbindung zu den englischsprachigen Texten aufzubauen, die seine innersten Gefühle und Erfahrungen der Isolation und des Aufbruchs widerspiegelten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Emigrate-Philosophie war die Betonung der Zusammenarbeit, im Gegensatz zur internen Konkurrenz bei Rammstein. Kruspe, inspiriert von den Musikerkreisen der DDR, in denen die Zusammenarbeit über Bandgrenzen hinweg üblich war, sah es als Verschwendung an, sich auf nur eine Geschichte zu beschränken. Er wollte mit so vielen talentierten Musikern wie möglich arbeiten. Das Projekt wurde multinational, eine Mischung aus Musikern verschiedener Herkunft und Genres, die seine Vision mittragen sollten. Die Musik selbst war von Anfang an als Brücke zwischen dem harten, gitarrenlastigen Klang von Rammstein und dem atmosphärischen, oft Industrial-Metal-inspirierten Sound konzipiert, der sich an Bands wie Ministry orientierte.
Das wechselnde Ensemble: Kernmitglieder und die Erweiterung der Emigrate-Familie
Obwohl Richard Kruspe der unangefochtene Leiter von Emigrate ist, war die Band von Beginn an von einem Pool talentierter Musiker geprägt, die Kruspes Vision unterstützten. Die Besetzung wechselte im Laufe der Jahre, sowohl für Studioaufnahmen als auch für Videoauftritte, was die kollaborative Natur des Projekts unterstreicht. Die Kerngruppe, die das erste Album 2007 aufnahm, bestand neben Kruspe aus Musikern, die er bereits kannte und schätzte.
Einer der wichtigsten frühen Mitstreiter war **Arnaud Giroux**, der Bassist, den Kruspe in New York City traf. Giroux, bekannt durch seine Arbeit mit dem französischen Sänger Axel Bauer, spielte eine entscheidende Rolle in der frühen Phase des Projekts. Kruspe und Giroux teilten eine Abmachung, die über die reine Musik hinausging: Sie halfen sich gegenseitig im fremden New York. Giroux war von Kruspes Demos beeindruckt, und sie begannen, gemeinsam Songs zu schreiben. Giroux war nicht nur Bassist, sondern auch im Hintergrundgesang aktiv und prägte somit den Klang des Debüts entscheidend mit.
Am Schlagzeug saß zunächst **Henka Johansson**, der Schlagzeuger der schwedischen Industrial-Metal-Band Clawfinger. Kruspe hatte ihn während der gemeinsamen Tourneen von Rammstein und Clawfinger kennengelernt und schätzte seine Fähigkeiten. Johansson wurde eine Konstante in der frühen Studiobesetzung, lieferte den treibenden Rhythmus und half, den schweren, rockigen Klang zu erden. Ein weiterer zentraler Studiomusiker, der jedoch im Hintergrund agierte, war **Olsen Involtini**. Er hatte bereits als Arrangeur von Streichern für das Rammstein-Album *Mutter* gearbeitet und war Kruspe somit gut bekannt. Involtini spielte Gitarre und war oft an der Produktion und dem Sounddesign beteiligt. Später traten weitere Schlagzeuger in den Fokus, darunter **Mikko Sirén** (Apocalyptica) und **Jens Dreesen**, die auf späteren Alben zur klanglichen Vielfalt beitrugen. **Sascha Moser**, der bereits Schlagzeuger in Kruspes früherer Band Orgasm Death Gimmick war, war ebenfalls involviert.
Im Laufe der Jahre erweiterten sich die Video- und Live-Mitglieder. **Joe Letz**, bekannt als energiegeladener Schlagzeuger von Combichrist, spielte in den meisten Musikvideos von Emigrate, da Richard Kruspe seinen Stil besonders mochte. Letz, der auch DJ ist und Rammstein auf Tourneen begleitete, hat eher eine beratende Funktion und ist ein enger Freund Kruspes, auch wenn er kein Vollzeit-Bandmitglied ist. In den späteren Jahren traten neue Gesichter in Erscheinung, wie die Bassistin **Alice Lane** und der Keyboarder **Andrea Marino**, den Kruspe durch seine Tochter Khira Li Lindemann kennenlernte. Marino brachte als DJ und Produzent neue elektronische Elemente in das Soundbild der Band ein.
Musikalische Meilensteine: Eine Diskografie des Aufbruchs
Das musikalische Schaffen von Emigrate ist in vier Studioalben festgehalten, die jeweils einen spezifischen Abschnitt in Kruspes Leben und seiner künstlerischen Entwicklung darstellen. Jedes Album markiert einen Meilenstein in seiner kreativen Unabhängigkeit.
Das **Debütalbum, Emigrate (2007)**, war die physische Manifestation von Kruspes Umzug nach New York und seiner Befreiung. Es wurde hauptsächlich im Studio Engine SS in New York aufgenommen und von Kruspe selbst produziert. Das Album schlug sofort eine Brücke zwischen dem heavy Industrial-Sound von Rammstein und einer deutlich melodischeren, englischsprachigen Ader. Songs wie *My World* und *New York City* wurden die ersten Single-Auskopplungen. Besonders hervorzuheben ist, dass *My World* auf dem Soundtrack des Films *Resident Evil: Extinction* verwendet wurde – eine Fortsetzung der Rammstein-Präsenz in dieser Filmreihe. Die Texte auf diesem Album, die oft Themen der Isolation, des Neuanfangs und der Selbstbehauptung behandeln, entstanden teilweise in Zusammenarbeit mit Kruspes damaliger Frau **Caron Bernstein**.
Es dauerte sieben Jahre, bis das zweite Album erschien, eine Zeit, in der Kruspe die Arbeit mit Rammstein wieder aufnahm. **Silent So Long (2014)** markierte jedoch eine neue kreative Reife und vor allem eine beeindruckende Liste an Kollaborationen. Kruspe nutzte dieses Album, um seine Vision der musikalischen Zusammenarbeit voll auszuschöpfen. Es war eine Abkehr vom reinen Soloprojekt hin zu einer offenen Plattform für andere Künstler. Die musikalische Ausrichtung wurde noch vielseitiger, mit Titeln, die von treibendem Rock bis hin zu düsteren, atmosphärischen Stücken reichten. Die Single *Eat You Alive* und das titelgebende *Silent So Long* setzten neue Maßstäbe für das Projekt.
Im Jahr 2018 erschien das dritte Album, **A Million Degrees**. Es wurde in einer Zeit veröffentlicht, in der Kruspe bereits wieder in Berlin lebte, was möglicherweise einen neuen emotionalen Rahmen für die Musik schuf. Das Album zeigte sich musikalisch sehr dynamisch, mit einem Fokus auf eingängige Melodien und harte Riffs. Produzent war unter anderem Sky van Hoff. Die Single *1234* überraschte mit dem Gesang von **Benjamin Kowalewicz**, dem Leadsänger der kanadischen Band Billy Talent. Dieses Werk vertiefte die Thematik der menschlichen Verbindung und des Verlangens nach Stabilität in einer oft chaotischen Welt. Das Album enthielt auch ein besonders bedeutendes Duett mit **Till Lindemann** im Song *Let’s Go*, was die tiefe, wenn auch komplexe, Verbindung zwischen den beiden Hauptfiguren von Rammstein unterstrich und die Akzeptanz von Emigrate als eigenständiges Werk innerhalb des Rammstein-Umfelds festigte. Auch die Zusammenarbeit mit **Cardinal Copia** (Tobias Forge von Ghost) in *I’m Not Afraid* unterstrich Kruspes Fähigkeit, die Metal-Community genreübergreifend zu vereinen.
Das bislang letzte Album, **The Persistence of Memory (2021)**, zeigte Kruspe als einen Künstler, der auf die Anfänge zurückblickte und gleichzeitig seinen Blick nach vorne richtete. Der Titel selbst – die Beharrlichkeit der Erinnerung – deutet auf eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit hin. Dieses Album enthielt Songs, die ursprünglich für Rammstein geschrieben worden waren, aber im Emigrate-Stil eine neue Heimat fanden. Die Single *Freeze My Mind* und das Cover des Pet-Shop-Boys-Klassikers *Always On My Mind* demonstrierten Kruspes Fähigkeit, harte Gitarrenmusik mit melancholischen und atmosphärischen Melodien zu verbinden. Im Gegensatz zu den Vorgängern enthielt dieses Album weniger Gastauftritte, was den Fokus wieder stärker auf Kruspes Rolle als alleiniger kreativer Kopf und Sänger legte und die Quintessenz des Emigrate-Sounds auf den Punkt brachte.
Die Kunst der Zusammenarbeit: Gastauftritte und kreativer Austausch
Die Alben von Emigrate sind ein Zeugnis von Richard Kruspes Wunsch, die Grenzen seines eigenen Schaffens durch den Dialog mit anderen Künstlern zu erweitern. Das Album *Silent So Long* (2014) sticht dabei besonders hervor und kann als ein Höhepunkt in Kruspes kollaborativer Karriere angesehen werden. Hier vereinte er Legenden und zeitgenössische Künstler aus verschiedenen Genres.
Einer der prominentesten Gäste war die Rock-Legende **Lemmy Kilmister** von Motörhead, der auf dem Song *Rock City* zu hören ist. Die Zusammenarbeit mit Lemmy, einem Idol vieler Rockmusiker, war ein bedeutendes Vorkommnis und eine Hommage an den klassischen, rauen Rock’n’Roll. Ebenfalls auf *Silent So Long* ist **Jonathan Davis**, der Sänger von KoRn, auf dem Titeltrack zu hören. Die Kombination aus Davis’ unverwechselbarem, oft gequältem Gesangsstil und Kruspes Industrial-Metal-Riffs schuf ein düsteres und kraftvolles Stück, das die Bandbreite von Emigrate demonstrierte.
Weitere bemerkenswerte Kollaborationen auf diesem Album waren **Peaches** im Song *Get Down* und **Frank Dellé** von Seeed bei *Eat You Alive*. Die Einbindung von Peaches, einer Künstlerin, die für ihre provokante Elektro-Clash-Musik bekannt ist, brachte eine elektronische, tanzbare Note in das Album, während Dellé dem Sound eine unerwartete Reggae- oder Dancehall-Nähe verlieh. Diese Vielfalt unterstrich Kruspes Weigerung, sich auf ein einziges Genre festlegen zu lassen.
Auf dem Album *A Million Degrees* (2018) setzte Kruspe die Tradition fort. Neben dem bereits erwähnten Duett mit Till Lindemann auf *Let’s Go* und Benjamin Kowalewicz auf *1234* trat **Margaux Bossieux**, Kruspes ehemalige Partnerin und Bassistin der Band Dirty Mary, im Song *Lead You On* als Gastsängerin auf. Diese persönliche und musikalische Verbindung, die sich auch in gemeinsamen Kindern manifestierte, zeigte, wie eng Kruspes Leben und seine Kunst miteinander verwoben sind. Die Kollaboration mit **Cardinal Copia** von Ghost bei *I’m Not Afraid* fügte dem Album eine theatralische und okkult angehauchte Dimension hinzu, die perfekt in die Metal-Landschaft passte. Kruspe gelang es stets, die Essenz seiner Kollaborationspartner zu nutzen, ohne den charakteristischen Emigrate-Sound zu verlieren, was die Stärke seiner Produktion und Komposition unterstreicht.
Zwischen New York und Berlin: Richard Kruspes privates Leben
Richard Zven Kruspes Privatleben war, ähnlich wie seine Musik, von tiefgreifenden Veränderungen und der Suche nach Heimat geprägt. Die Neigung zum Aufbruch, die Emigrate thematisch verarbeitet, spiegelt sich in seinen biografischen Stationen wider. Kruspe ist ein Familienmensch und Vater von mindestens drei Kindern aus verschiedenen Beziehungen. Sein Sohn **Merlin Besson**, geboren 1992 aus einer früheren Verbindung mit der Musikerin Tatjana Besson, ist heute selbst als Schauspieler tätig. Kruspes älteste Tochter ist **Khira Li Lindemann**, die er 1991 mit der damaligen Frau von Till Lindemann, seiner ersten Partnerin, bekam. Khira Li hat selbst musikalische Verbindungen, unter anderem sang sie im Kinderchor auf dem Rammstein-Album *Mutter* und brachte Richard mit dem späteren Emigrate-Keyboarder Andrea Marino zusammen.
Ein bedeutender Wendepunkt war seine Ehe mit dem amerikanischen Model und Schauspielerin **Caron Bernstein**. Kruspe zog zu ihr nach New York City und nahm in dieser Zeit ihren Nachnamen an: Er nannte sich Richard Kruspe-Bernstein. Dieser Namenswechsel war ein tief symbolischer Akt der Emigration und der vollständigen Integration in sein neues amerikanisches Leben. Die Ehe endete jedoch im Jahr 2004 mit der Scheidung, woraufhin Kruspe den Namen „Bernstein“ wieder ablegte und zum vertrauten Richard Kruspe zurückkehrte, seinen Zweitnamen Zven jedoch beibehielt oder häufiger verwendete.
Später war Kruspe mit der Musikerin **Margaux Bossieux** liiert, die als Bassistin in der Band Dirty Mary und als Gastsängerin auf Emigrate-Alben aktiv war. Mit ihr hat er eine weitere Tochter, **Alaska**, die 2011 geboren wurde. Alaska war ebenfalls in Kruspes künstlerisches Schaffen eingebunden, indem sie im Musikvideo zum Emigrate-Song *You Are So Beautiful* auftrat. Kruspes Beziehung zu seinen Kindern ist ihm wichtig, obwohl er selbst in Interviews reflektiert hat, dass es ihm aufgrund seiner Lebensumstände manchmal schwerfällt, die Rolle des beständigen Vaters vollständig auszufüllen – eine Thematik, die er auch in seine Texte einfließen lässt und die seine komplizierte Kindheit widerspiegelt. Die öffentlichen Äußerungen und die gelegentliche spekulative Berichterstattung in der Presse, beispielsweise über ein potenzielles viertes Kind im fortgeschrittenen Alter, werden von Kruspe oft mit symbolischen und rätselhaften Social-Media-Posts begleitet, die die Gerüchte eher anfachen, als sie zu klären, was typisch für sein künstlerisches Spiel mit der Öffentlichkeit ist.
Nach elf Jahren in New York zog Kruspe um 2011 wieder nach Berlin, was eine Art „Rück-Emigration“ darstellte, auch wenn das Emigrate-Projekt in seiner ursprünglichen Essenz bestehen blieb. Er ist bekannt dafür, ein Perfektionist zu sein, der seine Arbeit mit absoluter Hingabe verfolgt. Im Gegensatz zu vielen Musikerkollegen in der Rockwelt sind keine weitreichenden, öffentlichen Skandale oder Drogenexzesse bekannt, die seine Karriere nachhaltig beeinträchtigt hätten. Sein wichtigster „Schicksalsschlag“ war die psychologische und geografische Notwendigkeit des Aufbruchs, die ihn erst zur Gründung von Emigrate führte und ihm somit einen essenziellen kreativen Output verschaffte. Seine Vorbilder und Mentoren sind implizit in seiner musikalischen Entwicklung zu finden, insbesondere im Hard Rock und Metal, aber er benennt selten explizit einzelne Personen. Stattdessen verarbeitet er seine Einflüsse und Inspirationen in seinem eigenen, unverwechselbaren Stil, den er mit Emigrate weiterentwickeln konnte, während Rammstein pausierte.
Konzert-Vorkommnisse und die Seltenheit der Live-Präsenz
Im Gegensatz zu Rammstein, die für ihre gigantischen und pyrotechnisch aufwendigen Live-Shows bekannt sind, ist Emigrate nicht als Touring-Band konzipiert. Richard Kruspe betonte von Anfang an, dass er mit diesem Projekt nicht auf Tour gehen möchte. Dies hängt direkt mit dem Zweck von Emigrate zusammen: Es ist primär ein Studioprojekt, eine Plattform für Kruspes Kompositionen und Gesang, das ihm die vollständige Kontrolle über den kreativen Prozess ermöglicht, ohne die logistischen und performativen Zwänge einer weltweiten Tournee. Diese bewusste Entscheidung, die Live-Bühne größtenteils zu meiden, macht die Musik von Emigrate zu einem intimeren, auf das Hörerlebnis fokussierten Werk.
Dennoch gab es seltene Ausnahmen und Vorkommnisse. Im Jahr 2007, kurz nach der Veröffentlichung des Debütalbums, gab es einige Promotion-Events und private Auftritte. Diese waren jedoch nie Teil einer vollwertigen Tour. Das Fehlen von Konzerten ist selbst ein bemerkenswertes Vorkommnis im Kontext einer Rockband von diesem Kaliber. Die wenigen öffentlichen Auftritte von Emigrate waren daher exklusive Ereignisse, die oft nur in Verbindung mit Album-Veröffentlichungen stattfanden. Dies unterstreicht die Natur von Emigrate als Kruspes persönliches Studio-Universum, das ihm die kreative Freiheit bietet, die er im stark strukturierten Rahmen von Rammstein zeitweise vermisst. Die Interaktion mit den Fans findet primär über die Musikvideos, die Alben und gelegentliche Social-Media-Updates statt, nicht über die Bühne. Dadurch bleibt die mysteriöse und exklusive Aura des Projekts erhalten.
Die vollständige Emigrate Diskografie (Studioalben)
Veröffentlichung:
31. August 2007 (Deutschland)
Singles:
- My World (2007)
- New York City (2007)
- Temptation (2008)
Besondere Merkmale:
Debütalbum. Der Titelsong *My World* wurde Teil des Soundtracks von *Resident Evil: Extinction*. Texte entstanden teilweise in Zusammenarbeit mit Caron Bernstein.
Veröffentlichung:
14. November 2014
Singles:
- Eat You Alive (2014)
- Get Down (2014)
Gastauftritte:
- Lemmy Kilmister (*Rock City*)
- Jonathan Davis (*Silent So Long*)
- Peaches (*Get Down*)
- Frank Dellé (*Eat You Alive*)
Veröffentlichung:
30. November 2018
Singles:
- 1234 (2018)
- You Are So Beautiful (Acoustic) (2019)
- War (2019)
Gastauftritte:
- Benjamin Kowalewicz (*1234*)
- Till Lindemann (*Let’s Go*)
- Margaux Bossieux (*Lead You On*)
- Cardinal Copia (Tobias Forge) (*I’m Not Afraid*)
Veröffentlichung:
12. November 2021
Singles:
- Freeze My Mind (2021)
- You Can’t Run Away (2021)
- Always On My Mind (2021)
Besondere Merkmale:
Enthält ältere Songideen, die für Emigrate neu interpretiert wurden. Enthält eine Coverversion von *Always On My Mind*.
Quellenangaben
Die Informationen in dieser Biografie wurden aus verschiedenen öffentlich zugänglichen Quellen, darunter offizielle Band-Websites, Musik-Wikis (RammWiki, Last.fm), Interviews (Rock Hard, Musikexpress) und Wikipedia-Einträgen in deutscher und englischer Sprache, zusammengetragen und umschrieben.
Quellen der verwendeten Fotos (in Textform, nicht aktiv):
Tilly antoine, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Knödelbaum, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Julien Damelet, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons